„Die Almwirtschaft muss unbedingt eine Zukunft haben!“

…das große Interview mit Alpenforscher und Autor Werner Bätzing. Unser Almfuchs hat einen wahren Almexperten zum Interview getroffen: Werner Bätzing räumt mit falschen Annahmen über die Zukunft der Almenwelt auf, klärt über Gefahren für den Fortbestand der Almwirtschaft auf und spricht außerdem über den Tourismus auf der Alm. Das ist Teil 2 des Interviews. Wenn ihr den Anfang bisher nicht kennt, fangt am besten damit an. Hier geht’s zu Teil 1.

Ist die Almwirtschaft heute nur noch bloße Folklore zur Tourismusförderung, oder besitzt sie noch eine kulturelle Bedeutung für die Alpenbevölkerung?

Auch wenn viele Traditionen, die mit der Almwirtschaft verbunden sind, heute für den Tourismus eine große Bedeutung besitzen, so möchte ich aufgrund eigener Erfahrungen sagen, dass die allermeisten dieser Traditionen von Almbauern, Hirten und Sennern für sie selbst und nicht für den Tourismus durchgeführt werden. In unserer globalisierten Welt, die auch den Alpenraum in großen Teilen erfasst hat, besitzt das mit der Almwirtschaft verbundene lokale und regionale Brauchtum einen wichtigen Stellenwert: Als Gegenpol zum permanenten Wandel symbolisiert es Dauerhaftigkeit, Beständigkeit und Naturbezug und ist heute oft der zentrale Anker für eine regionale Identität und Verantwortlichkeit.

Was sind die zentralen Herausforderungen und Aufgaben der Wissenschaft für die Almwirtschaft?

Die Wissenschaft diente früher dazu, die Arbeit der Almwirtschaft gezielt zu verbessern, und in den Agrarwissenschaften, in Geographie, Volkskunde und Rechtswissenschaften entstanden eigene Teilgebiete, die sich gezielt mit ihr beschäftigten. Die Entwicklung der Wissenschaften in den letzten dreißig Jahren (Internationalisierung und Spezialisierung) stellt diese Zusammenarbeit jedoch infrage:

1. Alle Wissenschaften orientieren sich immer mehr an den wichtigsten Fachzeitschriften mit weltweiter Bedeutung; in diesen Zeitschriften werden aber nur Artikel abgedruckt, die auch eine weltweite Bedeutung haben, und lokale Themen wie Almwirtschaft in den Alpen haben da keine Chance.

2. Alle Wissenschaften spezialisieren sich immer stärker auf immer kleinere Themenbereiche; da in der Almwirtschaft wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Aspekte sehr eng miteinander verbunden sind, eignet sie sich wenig für hoch spezialisierte Analysen.

Deshalb wäre es wichtig, neue Forschungsansätze aufzubauen, die integrativ (Vernetzung Wirtschaft-Gesellschaft-Umwelt) und partizipativ (Einbezug der Almwirtschaft in die Forschung) ausgerichtet sind, und die das Ziel verfolgen, die Almwirtschaft bei der Bewältigung ihrer aktuellen und großen Herausforderungen zu unterstützen.

Derzeit gibt es zwar viele wissenschaftliche Publikationen zur Almwirtschaft (siehe meine Bibliografie), aber diese stehen in der Regel unverbunden nebeneinander, und es gibt derzeit nirgendwo im Alpenraum einen wissenschaftlichen Schwerpunkt zu dieser Thematik. Deshalb wäre es sehr sinnvoll, die letzten großen Forschungsprojekte – in Österreich „ALP Austria“ (2003-2006), in der Schweiz „AlpFUTUR“ (2009-2013) – wieder aufzugreifen und zu erneuern, am besten in beiden Staaten gemeinsam oder vielleicht sogar unter Einbezug der anderen Alpenstaaten.

Buchcover Alm- und Alpwirtschaft

Warum sollte die Almwirtschaft eine Zukunft haben? Und was wären wichtige Schritte, um ihr eine Zukunft zu geben?

Die Almwirtschaft muss unbedingt eine Zukunft haben, weil sie ein Wirtschaftsmodell darstellt, das in einem schwierig zu nutzenden Naturraum gute Erträge erwirtschaftet und dabei seine ökologischen und sozialen Voraussetzungen nicht zerstört, sondern pflegt (Umwelt: klimaverträgliches Wirtschaften, Erhöhung der Artenvielfalt, Kultur: Stärkung der regionalen Identität). Weil das heutige globale Wirtschaften sowohl die Umwelt als auch die regionalen Kulturen immer mehr zerstört, stellt die Almwirtschaft eigentlich ein Vorbild und Modell für Europa dar.

Damit die Almwirtschaft eine Zukunft hat, braucht es nicht nur eine neue (Agrar-)Politik, sondern auch eine breite Unterstützung durch die europäische Öffentlichkeit. Das mediale Interesse an den Almen und der Almwirtschaft ist in Europa sehr groß und könnte gut dazu genutzt werden. Darüber hinaus sorgt die Anerkennung der Almwirtschaft durch das „immaterielle Kulturerbe“ der UNESCO (leider derzeit noch zersplittert) für eine zusätzliche Aufmerksamkeit. Die Nutzung dieser Möglichkeiten setzt jedoch voraus, dass die Almwirtschaft in Europa mit einer Stimme spricht und nicht lediglich für das Allgäu, Tirol, Graubünden oder Savoyen. Deshalb wäre ein alpenweiter Zusammenschluss aller almwirtschaftlichen Vereine sehr wichtig. Wenn er gelingt, könnte sich die Almwirtschaft in Europa sehr viel effektiver als bisher Gehör in Europa verschaffen.

Porträt Werner Bätzing
Bücher von Werner Bätzing

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: U. Hanzig

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